Abstraktion ist einerseits das problematische Superzeichen der kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Moderne. Andererseits ist der einstige, fortschrittsoptimistische Anspruch an die Abstraktion als universal-letztgültige Sprache der Kunst und sozusagen ihre ultima ratio längst widerlegt. Die Kunst der Moderne, die sich auf Abstraktion verpflichtet hat, ist noch in der Zeit zum bloßen Stil geronnen. Damit hat sie zugleich eindrücklich den Beweis geführt, dass das in modernistischem Sinn „Neue“ nicht automatisch „besser“ ist: die Crux jedes progressiven Projekts – auch in unserer Gegenwart.

Ohne sich auf die modernde „Tradition des Neuen“ (Harold Rosenberg) zu verpflichten, entfaltet Jens Wolf sein malerisches Werk dennoch genau in dem Spielraum, der sich zwischen Superzeichen und Stil, allzu gegenwärtigem Problem und abhanden gekommener Perspektive auftut.

Wolf widmet sich der Abstraktion als einer verlorenen Sprache, die einst vom Neuen und Besseren künden wollte, weshalb ihr visuelles Vokabular statt in der Kunst zurecht vielmehr im Design, der Gestaltung und der Typographie überlebt hat und sich durch den Gebrauch in der visuellen Kommunikation oder in der Werbung tatsächlich bis heute auch erneuert. Damit sind seine Bilder durchaus im Sinne einer Archäologie der Kunst zu verstehen, die anhand der Fundstücke von einst rekonstruieren will, wovon dieses Vokabular einst gesprochen haben mag. Der Recherche und sorgfältigen Rekonstruktion steht zugleich ein konstruktiver Ansatz gegenüber, gerade weil Wolf seine Fundstücke einer rigorosen Formalisierung und Neukontextualisierung unterzieht. Ausgehend von seinem Musterkatalog der pattern boards setzt Wolf die dort als ästhetisches Substrat fixierten Motive einem streng formatierten Stresstest aus. Er überprüft sie dabei auf ihre Belastbarkeit in der Verkehrsform „Tafelbild“. Das ist bei Wolf tatsächlich eine hölzerne Bildtafel, deren Format bestimmt, was darauf passieren kann. „tableaux“ im buchstäblichen Sinn: nicht mehr, vor allem nicht weniger. Schließlich bemisst sich auch die individuelle Wahlfreiheit heute schließlich nach strengen, abstrakten Standards. Wer Du bist, kann ich Dir sagen, je nachdem, ob Du dich für M, L oder XL entscheidest: egal, ob bei Kaffee, Boxershorts oder einer Kreuzfahrt. Diese Logik, nachdem nurmehr die Größe ausschlaggebend sei, sucht seit längerem auch diejenige Kunst heim, die sich nicht darüber im Klaren ist, dass Kunstsein ja auch nur eine bestimmte Form des Gebrauchs ist. Das ist ein weiterer Spielraum, den Wolf für sein Werk auslotet: wie Malerei in Form von Bildern funktionieren kann, die man sich einerseits gern als Bilder anschaut – gerade, weil sie auf die „alten“, verlernten Sprachen des „Neuen“ und „Besseren“ durchblicken lassen – und die sich andererseits dem Gebrauch als Kunst auch nicht entziehen.   

Hans-Jürgen Hafner, Berlin, Mai 2022

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